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SUN – Solidarity Unites Neustadt

Posted on 28.8.2024

Eine, auch in der Maus aktive Person ist bei SUN aktiv. Wir veröffentlichen deshalb hier den Einladungstext von SUN.

Einladung zum Initiativtreffen zur Gründung eines solidarischen Netzwerks

Di., 3.9.2024um19 UhrKlimaWerkStadt (Westerstr. 58, 28199 HB)

Do., 26.9.2024um19 UhrAlla Hopp (Hardenbergstr., 52-54, 28201 HB)


In der Hoffnung auf eine Welt, in der Solidarität, Gleichheit, Freiheit und soziale Sicherheit die Basis des Zusammenlebens und gesellschaftlichen Zusammenhalts bilden, laden wir alle Interessierten ein zur Gründung von:


SUN – Solidarity Unites Neustadt

Die lokale Organisierung im Stadtteil halten wir für wichtig: Wir wollen uns schnell und direkt aufeinander beziehen können. Räume für Austausch und gegenseitige Unterstützung sollen entstehen. Menschen mit ähnlichen Problemen können sich vernetzen, Erfahrungen teilen und solidarische Praxen entwickeln.

Mit der Bekämpfung lokaler Probleme durch kollektives Handeln und mit der Stärkung des sozialen Zusammenhalts im Stadtteil sollen reale Verbesserungen entstehen, z.B. im Kampf gegen Rechts und gegen sexistische Gewalt oder bei gemeinsamen Miet- und Arbeitskämpfen.

In der Selbstorganisierung von uns als Bewohner*innen der Neustadt, die aktiv für ihre Interessen eintreten, sehen wir einen Weg, um unmittelbar zu politischen Subjekten zu werden und kollektive Handlungsmacht aufzubauen.

Der erschreckende Aufstieg rechtspopulistischer und rechtsradikaler politischer Bewegungen in Europa und international sowie die Zerstörung unser aller Lebensgrundlagen stellen eine massive Bedrohung dar. Auch in unserem Stadtteil gibt es sexistische, rassistische, transfeindliche, antisemitische und romafeindliche Übergriffe – die soziale Spaltung der Gesellschaft wird immer spürbarer. Wir sind immer unterschiedlich stark davon betroffen und unterschiedlich privilegiert.


Damit ist immer auch der dringende Wunsch nach einer grundlegenden emanzipatorischen gesellschaftlichen Verän-derung verbunden – lokal wie weltweit.

Für viele ist es schwierig, bezahlbaren und lebenswerten Wohnraum zu finden, Altersarmut ist ein massives Problem und schränkt Perspektiven stark ein. Menschen, häufig mit Migrationsgeschichte, werden im Niedriglohnsektor ausgebeutet und mehr als ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen in Bremen ist arm. Gleichzeitig wird die öffentliche Infrastruktur, wie Krankenhäuser, Schulen, Kitas, Pflegeeinrichtungen, Beratungsstellen etc., personell massiv ausgedünnt und kaputtgespart.


Dagegen können wir uns nur wehren, wenn wir unsere Vereinzelung überwinden und eine gemeinsame emanzipa-torische Praxis entwickeln.

Solidarity Unites Neustadt will genau hierfür den Raum bieten und einen positiven Gegenentwurf entstehen lassen, um sich zu organisieren gegen die sich zuspitzende Ungleichheit, Ausbeutung, Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung.

Wir stehen ein für das Recht auf soziale Teilhabe, menschenwürdiges Wohnen, gute inklusive Bildung und bezahlbare Kultur. Für das Recht auf Aufenthalt und Legalisierung für alle, ebenso wie für das Recht auf sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung. Für eine lebenswerte, klimagerechte, grüne Stadt, in der das Fahrrad Vorrang hat und ein kostenloser ÖPNV für alle zur Verfügung steht.


Für globale Solidarität und ein gutes Leben für alle – in einer Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein können!

Dafür wollen wir einen Raum in der Neustadt aufbauen als konkrete Anlaufstelle für solidarische Strukturen. Zur Vernetzung untereinander und zum Aufbau gegenseitiger Hilfe, seien es Skill-Sharing, Diskussionsrunden zu aktuellen Themen und Problemen (im Stadtteil oder anderswo), praktische politische Interventionen, Film- und Spieleabende, Beratungsangebote, direkte und unmittelbare Unterstützung bei Übergriffen, Workshops, Partys, Küche für alle, gemeinsame Bildung, Hilfe bei Alltagsproblemen und noch vieles mehr. Was wir konkret machen, hängt natürlich von uns allen und unseren individuellen Interessen und Möglichkeiten ab – wie wir es machen, ist klar: zusammen und solidarisch! Dazu gehört auch, dass wir alle bestehenden Initiativen in der Neustadt herzlich einladen, sich an der Vernetzung zu beteiligen und mit uns zusammenzuarbeiten.

Wir, das sind Aktivist*innen aus unterschiedlichen Kontexten, die im Rahmen eines Vernetzungstreffens gegen den Rechtsruck vor der EU-Wahl zueinander gefunden haben, laden euch herzlich zu unserer Auftaktveranstaltung ein.


Wir freuen uns auf euch, auf eure Ideen und Gedanken, damit wir gemeinsam SUN – Solidarity Unites Neustadt Wirklichkeit werden lassen.

REDEBEITRAG EARTH OVERSHOOT DAY

Posted on 22.5.2024

Demo und anschließendes Treffen am 5.4.2024, Bremen

Moin, ich bin Johann. Ich bin seit langem aktiv im Umsonstladen, in der MAUS, einem Rest der Anti-AKW-Bewegung, in der Food-Coop Maiskolben und seit kurzem auch bei Gegenverkehr und in der neuen Stadtteilgruppe SUN, Solidarity unites Neustadt.

Seit Jahrzehnten beschäftigen mich die ökologischen und sozialen Zerstörungen, die globale Ausbeutung, die patriarchalen Zurichtungen und der Militarismus. Das herrschende System hat keine Zukunft. Seine Gewalttätigkeit wird immer größer. Von daher möchte ich euch heute in groben Zügen von meiner Kritik der herrschenden Verhältnisse und meine Utopie herrschaftsfreier Gesellschaften erzählen.

Die Politik erzählt von grünem Kapitalismus und Nachhaltigkeit. Die Praxis scheint auf einen unkritischen Blick nur widersprüchlich. Der CO2-Verbrauch der BRD hat sich zuletzt stark reduziert. Die Erneuerbaren werden ausgebaut. Aber gleichzeitig wird das Klimaschutzgesetz verwässert, indem die Verantwortlichkeit der einzelnen Ressorts aufgehoben wird.

Wenn wir den Rich-Country-Illusion-Effect im Blick haben, zerfallen die Märchen von Nachhaltigkeit und grünen Kapitalismus. Eine Studie von 2011 ist dazu ein wichtiger Schlüssel. Der Anstieg der CO2-Emissionen aus Gütern, die in Entwicklungsländern produziert, aber in Industrie-ländern konsumiert werden, war sechsmal größer, als die Emissions-einsparungen der Industrieländer. Je größer der Anteil der Erneuerbaren wird, desto ausgeprägter wird dieser illusionäre Effekt. Ich reiße das kurz an den Beispielen Aluminium und aktueller Energiepolitik an.

Aluminium ist ein sehr dreckiges, giftiges Produkt und eines der energie- intensivsten überhaupt. Pro Kopf wird nirgendwo mehr Aluminium verbraucht als in der BRD. Es sind 40 Kg pro Kopf und Jahr. Wichtigster Verbraucher ist die Auto-Industrie. Weltweit haben sich Bauxit-Abbau und Aluminium-Produktion zwischen 1980 und 2015 mehr als verdreifacht. Sie steigen seitdem weiter stark an. Sowohl der Abbau des Rohstoffs Bauxit als auch die Produktion von Aluminium findet fast vollständig unter meist sozial und ökologisch katastrophalen Bedingungen in Ländern des Globalen Südens statt. 1980 war die BRD noch viertgrößter Aluminium-Produzent. Seitdem wurde die Produktion hier stark abgebaut. 2015 lag die BRD nach Mosambik auf Platz 15. Verlagerung ist ein wichtiger Mechanismus des traditionellen Rich-Country-Illusion-Effects. Die Verantwortung für den Verbrauch hier in der BRD wird anderen Ländern, in Rechnung gestellt. Beim Bergbau bedeutet das vor allem Vertreibungen, Morde und großflächige Vergiftungen sowie CO2-Ausstoß. Bei der Aluminium-Produktion sind Verteibungen geringer, der CO2-Ausstoß größer. Er wird in diesem Fall wesentlich der CO2-Bilanz der VR China in Rechnung gestellt.

Eine Studie von Tobias Kind et al von 2018 berechnete: Für die gleiche installierte Erzeugungskapazität werden für Solar- und Windsysteme bis zum 15-mal mehr Beton, 90-mal mehr Aluminium und 50-mal mehr Eisen, Kupfer und Glas benötigt als für konventionelle Energiesysteme. Ja wir brauchen den Umbau hin zu erneuerbaren Energien. Vor allem aber brauchen wir Strategien zur Vermeidung von Energieverbrauch. Sonst ist die Energiewende nichts als ein extremer neo-kolonialer Herrschaftsschub. Die Regierung der BRD kann sich dann Netto-Null auf die Fahnen schreiben. Weltweit aber sinken Zerstörungen und CO2-Ausstoß nicht.

Der Grüne Minister Habeck hat z.B. mit Chile, Namibia und Marokko Abkommen zur Herstellung von Grünem Wasserstoff ausgehandelt. Die Anlagen sind auf eine Nutzung von 40 Jahren konzipiert. In neokolonialer Manier ist aller Wasserstoff für die BRD. Vor Ort gibt es außer Geld für die Staats-Regierungen nur negative Effekte. Es wird neben viel Energie sehr viel Wasser verbraucht. In Namibia ist ein Naturschutzgebiet mit vielfältiger Flora und Fauna betroffen. Die Region in Marokko wird heute noch landwirtschaftlich genutzt. In beiden Ländern gibt es für die Wasserversorgung nur die Varianten Tiefbrunnen (mit gefährlicher Absenkung der Grundwasserpegel) und Meerwasser (mit extrem energieaufwändiger Entsalzung). In Chile wird die Anlage im umkämpften Gebiet der indigenen Mapuche errichtet. Die Mapuche kämpfen seit langem für ihre Würde, für Autonomie und gegen die Zerstörung ihrer traditionellen Ländereien. Zum Schutz der Wasserstoff-Fabrik wird u.a. eine große Militärstation im Mapuche-Gebiet errichtet. Die Gewalt gegen die Mapuche wird also für den Grünen Wasserstoff sicher noch tödlicher. Dazu kommt noch der aufwändige Transport auf Spezialschiffen. Auch deren Bau und Betrieb werden voraussichtlich die CO2-Bilanz der BRD nicht belasten. Die Rechnung für diese CO2-neutrale Energie hier zahlen wie immer die am stärksten ausgebeuteten Menschen und Regionen.

Das Gerede von Kriegsfähigkeit, die Zunahme der Kriege, die Militarisierung der Gesellschaft, die Diskussionen um europäische Atomwaffen sind deutliche Anzeiger der zunehmenden Gewalt des herrschenden Systems. Es stößt immer härter an seine Grenzen.

Der Kapitalismus basiert auf patriarchaler Herrschaft. Er modernisierte und verschärfte diese über eine lange Periode. Er erforderte von Anfang an kreative Zerstörung. Dazu gehört, dass er soziale Lebensmodelle und Bindungen in Europa und in den Kolonien zerschlug und die Vereinzelten zur Arbeit zwang. Dazu gehört, dass er Natur zerstört und aus dieser Zerstörung mit Hilfe der Arbeit Reichtum für wenige schafft. Die Vereinzelung hat hier und heute im neoliberalen Kapitalismus eine Radikalität erreicht, die face-to-face Kommunikation und die Gesellschaft als solche zerstört. Den Reichtum für wenige zu erhalten und auszuweiten erfordert immer mehr oft gewalttätigen Ausschluss, immer mehr Verarmung. Neue Faschismen sind deshalb weltweit im Aufschwung. Der starke Mann (Trump in USA, Orban in Ungarn, Erdogan in der Türkei, Milei in Argentinien, …) zur Not auch die starke Frau (Meloni in Italien, LePen in Frankreich) versprechen eine ungedeckte Illusion auf Stabilität durch Zugehörigkeit zum nationalistischen Kollektiv und oft auch durch Leugnung von menschgemachter Erderhitzung etc. sowie Sicherheit des individuellen Konsums.

Diese ganzen Herrschaftsverhältnisse hängen zusammen. Sie verstärken sich gegenseitig. Über solche Erkenntnisse bin ich zum Anarchismus gekommen. Ich beziehe mich dabei insbesondere positiv auf Anarcho-Kommunismus, Anarcha-Feminismus und nicht-primitivistische Richtungen des Green-Anarchism.

Neben direkten Aktionen gegen den ganzen Scheiß brauchen wir solidarische Strukturen. Die stärken uns, stützen uns in gegenseitiger Hilfe und im Widerstand.

Alle diese solidarische Strukturen, sind, wie auch jede* Einzelne*, widersprüchlich. Auf lokaler Ebene hoffe ich, dass zarte Triebe, wie die neue Stadtteilgruppe SUN, Solidarity unites Neustadt, sich positiv entwickeln. Auf überregionaler Ebene gibt es wichtige solidarische Strukturen z.B. in der Klimagerechtigkeitsbewegung oder weltweit mit und in La Via Campesina, dem Netzwerk von Kleinbäuer*innen, Landlosen, Fischer*innen, Sammler*innen und Indigenen.

Geld und Eigentum sind heute die Triebkräfte der Zerstörung. Sie bestehen, auch wenn seit dem Kapitalismus in einer neuen Qualität, seit Beginn patriarchaler Herrschaft. Die Befreiung vom Geld und Eigentum ist meiner Überzeugung nicht ausreichend, aber notwendig , wenn wir Herrschaft und Zerstörung beenden wollen.

Für die Anarchie

Für ein gutes Leben für alle, weltweit

Atombomben für die BRD oder gemeinsame Atombomben der EU ?


Posted on 8.2.2024

Politiker*innen und sogenannte Expert*innen – nicht nur aus den Unionsparteien – streben verstärkt nach eigenen Atombomben für die BRD oder für die EU. Wir dokumentieren im Folgenden einige Artikel dazu.

Diese ganze Debatte findet statt in einem Rahmen, der die Gesellschaft weiter extrem militarisieren und Krieg vorbereiten will. Kriegsminister Pistorius (SPD) fordert in 5 Jahren kriegstüchtig zu sein.1 Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter fordert die Aufhebung der Schuldenbremse für Verteidigungsetat und Militärhilfe für die Ukraine sowie eine Verdopplung des Sondervermögens für die Bundeswehr auf 200 Milliarden Euro.2 CDU-Bundestagsabgeordneter Roderich Kiesewetter legte nach: „Es ist ja völlig klar, dass wir eher 300 statt 100 Milliarden benötigen, damit die Bundeswehr kriegstüchtig wird.“3

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Anm. I: Fast alle, die diese destruktiv-patriarchale Idee öffentlich vertreten, sind Männer.

1 vergl. Tahgesschau 12.11.2023, https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/pistorius-bundeswehr-114.html

2 vergl. Die Welt 13.2.2024, https://www.welt.de/politik/deutschland/video250056226/Debatte-um-Ruestungsausgaben-Kiesewetter-fordert-das-Bundeswehr-Sondervermoegen-zu-verdreifachen.html

3 Süddeutsche 13.2.2024, https://www.sueddeutsche.de/politik/verteidigung-debatte-ueber-atomare-abschreckung-scholz-und-lindner-uneins-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-240213-99-968243

Es folgen ausgewählte Texte. Ihr findet zuerst den Link zu den Texten und danach den Text. Für Bilder müsst ihr den Links folgen.

1. Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), CSU-Vize am 14.12.2023

2. Thorsten Frei, Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, schon am 14.8.2022

fordern die Atombombe für die BRD

3. Wir sollten die Beteiligung am französischen Nuklearprogramms diskutieren, forderte der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, schon am 2.6.2022

4. Der Politologe Herfried Münkler am 1.1.2024

5. und Joschka Fischer am 3.12.2023

6. und am 13.2.2024 die SPD Spitzenkandidatin für die EU-Wahl 2024 Katarina Barley, der FDF-Chef Christian Lindner und nochmal Manfred Weber, jetzt für die Union Spitzenkandidat für die EU-Wahl 2024

7. nochmal am 14.2.2024 Katarina Barley und Manfred Weber

8. ebenso am 14.2.2024 SPD-Spitzenpolitiker Sigmar Gabriel und ex-Außenminister

fordern gemeinsame Atomwaffen für die EU,

9. auch Frankreichs Präsident Emanuel Macron spricht sich am 7.2.2024 für eine EU-weite Ausdehnung der französischen Nuklear-Macht aus

10. ebenso Polens Ministerpräsident Donald Tusk am 13.2.1024 (dazu Barley und Macron)

Auch das Ende der Stromproduktion wird immer wieder in Frage gestellt, so durch

11. Ministerpräsident Söder (CSU), Seite 33ff

der neue AKW in der BRD (aber keine Endlagerung) will


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https://www.morgenpost.de/politik/article240798014/Atommacht-Europa-Braucht-Deutschland-Zugriff-auf-die-Bombe.html
Brisante Debatte

Atommacht Europa: Braucht Deutschland Zugriff auf die Bombe?

• Lesezeit: 7 Minuten Von Jochen Gaugele und Christian Kerl

Berliner Morgenpost 14. Dezember 2023 11:45 Uhr – Ein Tabu bröckelt: Die Politik debattiert jetzt über eine eigene Atom-Abschreckung der EU. Welche Rolle soll die Bundesrepublik dabei spielen?

Berlin/Brüssel. Ein Tabu bröckelt: Die Politik debattiert jetzt über eine eigene Atom-Abschreckung der EU. Welche Rolle soll die Bundesrepublik dabei spielen?

In Deutschland fällt mit dem Ukraine-Krieg ein letztes sicherheitspolitisches Tabu: Brauchen wir eine atomare Aufrüstung, eine europäische Atombombe? Der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), CSU-Vize Manfred Weber, spricht jetzt Klartext: „Letztlich braucht die EU dauerhaft eine nukleare Abschreckung – innerhalb und ergänzend zur Nato“, sagte Weber unserer Redaktion. Deutschland und andere EU-Staaten müssten endlich das französische Angebot annehmen und über einen möglichen Schutz durch den französischen Nuklearschirm sprechen.

Das Ziel: „Die europäischen Staaten müssen schnellstmöglich selbst verteidigungsfähig werden.“ Weber steht mit der Forderung nicht allein. Ex-Außenminister Joschka Fischer und der Politikwissenschaftler Herfried Münkler fordern ebenfalls eine eigene atomare Abschreckung der EU. Was steckt dahinter? Wie realistisch ist die europäische Atom-Aufrüstung?

Lesen Sie auch: Israel hat Atomwaffen – Droht im Gaza-Krieg ihr Einsatz?

Europäische Union: Was steckt hinter der Atomwaffen-Forderung?

Umfragen zufolge steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Donald Trump Ende 2024 die US-Präsidentschaftswahlen gewinnt. Die Befürchtung: In einer zweiten Amtszeit könnte er den schützenden Atomschirm der USA über Europa wegziehen. Trump hatte den Austritt aus der Nato schon einmal fast erklärt, als es 2018 in geheimer Sitzung der Nato-Regierungschefs in Brüssel zum Eklat um die Lastenteilung kam. Deutschland und Europa sind, von Frankreich und Großbritannien abgesehen, nur wirksam geschützt durch die Bereitschaft der USA, zur Verteidigung der Nato-Partner auch Atomwaffen einzusetzen. Nur mit dieser Abschreckung ist das Risiko für einen möglichen Gegner, vor allem also Russland, unkalkulierbar groß, dass ein Einmarsch etwa ins kleine Estland zum alles vernichtenden Weltkrieg eskalieren könnte.

Das Ende des Schutzschirms könnte Trump im offenen Bruch mit der Nato inszenieren – oder schleichend, indem Washington die Schutzgarantien zumindest in Frage stellt. „Wenn wir ehrlich sind, sind wir heute nur im Nato-Verbund und dank des starken US-Engagements verteidigungsfähig“, warnt EVP-Chef Weber. „Wir setzen auf ein enges Miteinander mit den USA in der Nato, müssen uns aber auch für andere Szenarien nach der nächsten US-Präsidentschaftswahl vorbereiten.“

Russische Interkontinental-Raketen, die im Ernstfall mit Atomsprengköpfen versehen würden, werden bei einer Militärparade in Moskau präsentiert. © AFP | ALEXANDER NEMENOV

Das ist besonders brisant, weil Russlands Präsident Wladimir Putin im Ukraine-Krieg ein Tabu bricht und offen mit der Atombombe droht. Putins Überfall auf die Ukraine, die 1994 ihre Atomwaffen für wertlose Schutzgarantien zerstörte, ist vielen aufstrebenden Mächten eine Lehre: Am Ende schützt nur das eigene Nukleardepot – es erlaubt zugleich Angriffe auf Nicht-Atommächte. Sicherheitsexperten rechnen daher als Konsequenz aus dem Ukraine-Krieg mit einer weltweiten Atom-Aufrüstung.

Auch spannend: Militärexperten besorgt: Neue Gefahr durch Putins Atomwaffen

Wie funktioniert der atomare US-Schutzschirm?

Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die USA den Großteil ihrer 7000 Atomwaffen aus Europa abgezogen, die Abschreckung wird aber durch ihre strategischen Langstreckenraketen sowie Atomwaffen etwa auf U-Booten aufrechterhalten. Außerdem lagern die USA etwa 180 Atombomben vom Typ B-61 in Europa. Etwa 20 davon befinden sich in Deutschland, einsatzbereit in unterirdischen Bunkern des Bundeswehr-Fliegerhorstes Büchel in Rheinland-Pfalz, weitere Depots liegen in Belgien, den Niederlanden, Italien und der Türkei. Die Atomwaffen in Deutschland würden im Ernstfall von Tornado-Kampfjets der Bundeswehr ins Zielgebiet geflogen und abgeworfen. Mit dieser „nuklearen Teilhabe“ sollen die Nato-Staaten ohne eigene Atom-Bewaffnung in die Zielplanung durch die Allianz einbezogen werden.

Der Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel mit dem angrenzenden Depotgelände, auf dem US-amerikanische Atombomben lagern. © picture alliance / Thomas Frey/dpa | Thomas Frey


Wie viele Atombomben haben Europas Nato-Länder?
Frankreich besitzt etwa 300 Atomsprengköpfe für U-Boote und für Kampfbomber. Großbritannien hat ein System mit etwa 120 Raketen, die von vier U-Booten abgeschossen werden können. Gemessen an den 5900 Atomsprengköpfen Russlands und den 5200 der USA sind beide Arsenale klein – sie könnten zur Abschreckung reichen, für einen großen Atomkrieg wohl nicht. Paris und London verfolgen eine rein nationale Atomstrategie, in der der Schutz von Verbündeten keine Rolle spielt.
Muss Deutschland selbst Atommacht werden?
Das gilt unter Fachleuten als kaum realistisch: Es wäre militärtechnisch ambitioniert, es würde hohe Milliarden-Investitionen erfordern, ist politisch kaum durchsetzbar – und würde selbst unsere EU-Nachbarn irritieren. Die Bundesrepublik hat sich im Atomwaffen-Sperrvertrag zum Verzicht auf Atombomben verpflichtet.
Mehr zum Thema: Atomwaffen: China rüstet massiv auf – Experten alarmiert
Wie könnte eine europäische Lösung aussehen?
Im Raum steht ein Angebot von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, mit Berlin über die nukleare Abschreckung zu reden, ernsthafte Gespräche gibt es bisher aber nicht. Das will EVP-Chef Weber ändern. Wenn das französische Angebot angenommen würde, seien keine neuen Atomwaffen nötig, um der EU eine nukleare Abschreckung zu verschaffen. Allerdings gibt es bislang ein Problem: Die Mitsprache Deutschlands hätte nach jetzigem Stand enge Grenzen, im Ernstfall würde der französische Präsident allein über den Einsatz von Atombomben entscheiden. Noch ist es unter Sicherheitsexperten auch ungewiss, ob Frankreich für einen Verbündeten das nukleare Risiko eingehen würde – das ist aber Kern der Abschreckung.
Der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) und EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), fordern eine eigene atomare Abschreckung der EU. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch
https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/spinnt-die-union-warum-deutschland-auf-keinen-fall-atommacht-werden-darf-li.255087


Spinnt die Union? Warum Deutschland auf keinen Fall Atommacht werden darf

Atomwaffen zu besitzen, bedeutet auch, dass man die Demokratie einschränken muss. Das darf für die Bundesrepublik keine Lösung sein.

Klaus Bachmann

14.08.2022 | 05:58 Uhr

Die Deutschland Flagge am Bundestag.imago/Thomas Trutschel

Die Aussichten für die nächsten Jahre sind trübe: Spätestens im Spätherbst wird es in West- und Mitteleuropa Proteste und Demonstrationen gegen Preissteigerungen, Energiepreise, Stromabschaltungen und Gasmangel geben, die die Corona-Proteste der letzten Jahre in den Schatten stellen werden. Dass Joe Biden die Präsidentschaftswahlen in den USA verliert, ist so wahrscheinlich wie ein Angriff Chinas auf Taiwan. Es ist dabei von untergeordneter Bedeutung, ob Donald Trump oder ein anderer Republikaner gegen Biden gewinnt.

Selbst Biden hat vor seiner Wahl angekündigt, die nuklearen Garantien für die Nato-Verbündeten einzuschränken: Eine atomare Antwort der USA gibt es nur bei einem atomaren Angriff auf einen Verbündeten, bei einem konventionellen nicht. In letzterem Fall dürfte dann eine Art Ukraine-II-Szenario ablaufen: Die USA senden Soldaten, Material, Waffen und diplomatische Unterstützung, setzen aber keine Atomwaffen ein. Was geschieht, wenn Trump oder ein anderer republikanischer Isolationist an die Macht kommt, kann man sich leicht vorstellen.

Das deutsche Dilemma mit der nuklearen Abschreckung
Trump ist imstande, die Beistandsgarantie der Nato außer Kraft zu setzen. Als er noch Präsident war, zog er in einem Interview in Zweifel, ob die USA tatsächlich den Nato-Partner Montenegro, „ein kleines Land“, verteidigen würden, wenn dadurch ein dritter Weltkrieg drohe. Ob er sich darüber im Klaren war, dass zwei Jahre zuvor russische Agenten einen Putschversuch unternommen hatten, um den Beitritt Montenegros zur Nato zu verhindern? Verhindert wurde der Putsch damals übrigens von Serbien, was man angesichts des weitverbreiteten Serben-Bashings in Westeuropa nicht verschweigen sollte.

Ob mit Biden oder Trump als Präsident ab 2024 – das deutsche Dilemma mit der nuklearen Abschreckung bleibt bestehen. Besser, das heißt verlässlicher, wird’s nicht. Da hatte Thorsten Frei, Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, recht, als er Ende Mai in einem Gastbeitrag für die FAZ  forderte, „das Undenkbare zu denken“. Ich weiß nicht, wie man Undenkbares denken kann, ich stelle es mir noch schwieriger vor als Ungenießbares zu genießen oder Unsägliches zu sagen, aber gerade Trump ist ja damit berühmt geworden, Dinge zu sagen, die er selbst vermutlich zuvor weder ge- noch durchdacht hat. Mit Freis Undenkbarem ist es ähnlich: Man kann es durchaus denken, aber das Ergebnis ist ziemlich ungenießbar.

Warum Deutschland Atommacht werden sollte Eines der Dinge, die man in Deutschland besser nicht laut sagt, ist die schlichte Erkenntnis, dass noch nie ein Atomstaat einen anderen Atomstaat angegriffen hat, weder atomar noch konventionell. Atomare Abschreckung hat bisher funktioniert, sie hat sogar – nach der Kubakrise – dazu geführt, dass die USA und die UdSSR Absprachen getroffen haben, mit denen ein zufällig, gegen ihren Willen stattfindender Atomschlag ausgeschlossen bzw. so eingegrenzt werden sollte, dass er keinen Krieg zur Folge haben würde.

Diese Zeiten sind allerdings vorbei, außer den USA und Russland (und, in geringem Maße, Frankreich und Großbritannien) gibt es jetzt auch noch einen chinesischen Hecht im Karpfenteich der Atommächte, was Absprachen, Vorwarnzeiten und die Benutzung roter Telefone einigermaßen kompliziert. Und davon abgesehen ist historische Erfahrung keine Garantie für die Exaktheit von Voraussagen. Was nicht war, kann durchaus noch werden, das gilt auch für das „Undenkbare“.

Russland und Frankreich und die Zweitschlagkapazität Ob atomare Abschreckung immer funktioniert, wissen wir nicht. Dass sie nur funktionieren kann, wenn beide Seiten Atomwaffen haben, wissen wir mit großer Sicherheit, denn in den vergangenen Jahrzehnten haben immer wieder Atommächte Nicht-Atommächte angegriffen. Hier genau steckt das Dilemma Deutschlands: Konventionell ist es relativ sicher, auch wenn die Bundeswehr nur beschränkt einsatzfähig ist. Die einzige denkbare konventionelle Bedrohung kommt aus Russland, doch die russische Armee müsste sich erst durch Polen kämpfen, bevor sie an der deutschen Grenze auftauchen würde.

Und selbst die europäischen Nato-Mitglieder (besonders nach dem Beitritt Finnlands und Schwedens) sind Russland haushoch überlegen. Anders sieht die Sache aus, denkt man das Undenkbare zu Ende: Ein russischer Atomschlag gegen Frankreich oder Großbritannien hätte unweigerlich einen Atomschlag gegen Russland zur Folge, denn beide Länder haben nicht nur Atomwaffen, sondern auch die sogenannte Zweitschlagkapazität.

Wie lässt sich Putin abschrecken? Die ist gewissermaßen das am wenigsten Denkbare des Undenkbaren, weshalb sie weiter unten im Text erklärt wird. Hier ist wichtig: Deutschland hat weder Atomwaffen, noch Zweitschlagkapazität. Deutschland kann auf einen Atomschlag konventionell antworten, was konkret bedeutet (jetzt wird’s so undenkbar, dass man Jugendlichen unter 16 diese Textstelle verdecken sollte), dass Olaf Scholz von seinem vermutlich nur beschränkt einsatzfähigen Atombunker aus nach der Rückverwandlung Berlins in eine Ruinenlandschaft als Rache die Zerstörung eines Moskauer Einkaufszentrums anordnen kann.

Diese Aussicht dürfte Wladimir Putin, der pro Woche mehrere ukrainische Einkaufszentren zerbombt, vermutlich kaum abschrecken. Olaf Scholz müsste darauf vertrauen, dass die USA im Rahmen des „nuclear sharing“ ihre Zustimmung geben, eine US-Atomwaffe von deutschem Territorium starten zu lassen und Moskau in ein zweites Nagasaki zu verwandeln, womit die USA allerdings einen Atomkrieg mit Russland zulasten amerikanischer Großstädte riskieren würden.

Das klingt ziemlich undenkbar. Man kann also davon ausgehen, dass jeder amerikanische Präsident, egal ob er mit Vornamen Joe oder Donald heißt, bemüht sein wird, zu beteuern, genau das zu tun (um so einen Angriff abzuschrecken) aber vermeiden wird, seine Drohung wahrzumachen, nachdem der Angriff dann doch stattgefunden hat. Da Putin das weiß, dürfte ihn „nuclear sharing“ weit weniger von einem atomaren Angriff auf die Bundesrepublik abschrecken als eine atomar bewaffnete Bundesrepublik.

Der Atomwaffensperrvertrag begrenzt den legalen Besitz von Atomwaffen An diesem Beispiel sieht man, dass Thorsten Frei eigentlich gar nicht recht hat: Atomare Abschreckung ist nicht undenkbar, sie besteht fast nur aus Denken. Bei der konventionellen Abschreckung geht’s um das, was ein Staat hat und kann, um militärische Hardware und die Fähigkeit, sie einzusetzen. Bei atomarer Abschreckung geht’s darum, was für den möglichen Gegner glaubwürdig und überzeugend ist und ihn deshalb abschreckt. Israel ist das beste Beispiel dafür: Dessen atomare Abschreckung beruht gar nicht auf dem Besitz von Atomwaffen, sondern auf der Unsicherheit seiner Nachbarn, ob es welche besitzt. Niemand steckt seine Hand gerne in ein dunkles Loch, solange er nicht sicher ist, dass keine Giftschlange darin wohnt.

Das bringt uns zu der bahnbrechenden Erkenntnis, die wir dem amerikanischen Nobelpreisträger Thomas Schelling verdanken, dass der Besitz von Atomwaffen für eine funktionierende Abschreckung weniger wichtig ist als die Möglichkeit, welche herstellen zu können. Schellings Erkenntnisse sind von besonderer Relevanz für die Grünen und ganz besonders für Annalena Baerbock, die in Japan und New York so gerne und erfolglos für die generelle Abschaffung von Atomwaffen wirbt.

Der Atomwaffensperrvertrag begrenzt den legalen Besitz von Atomwaffen de facto auf die USA, Frankreich, Großbritannien, China und Russland und die verzichten natürlich solange nicht auf ihre Atomwaffen, wie ihre potenziellen Gegner das nicht tun. Aber selbst wenn sie Baerbocks Charme erliegen sollten, würde das nach Schelling nichts ändern: Wir bekämen dann ein Wettrüsten zwischen den gleichen Staaten, das darauf angelegt wäre, die Zeitspanne maximal zu verkürzen, die notwendig ist, um aus atomwaffenfähigem Uran eine einsatzfähige Waffe herzustellen.

Annalena Baerbock könnte dann wieder zwischen Nagasaki und New York pendeln und einen Vertrag aushandeln, der auch das verbietet, aber man sieht bereits: Denkt man das Undenkbare zu Ende, wird etwas ziemlich Lächerliches daraus, nämlich eine deutsche Außenministerin, die ihre Zeit damit vergeudet, einer Chimäre hinterherzufliegen, die am Ende darin besteht, den Uranabbau als ersten Schritt zur Vorbereitung eines Angriffskriegs zu ächten.

Etwas, das ganz besonders undenkbar ist

Daraus folgt aber auch, dass Deutschland gar nicht so weit davon entfernt ist, eine Atommacht zu werden und, frei nach Schelling, bereits ein gewisses atomares Abschreckungspotenzial hat. Es kann, wenn es will, Atomwaffen in relativ kurzer Zeit herstellen. Nur ist es damit leider nicht getan. Atomar bewaffnete Staaten gibt es genug auf dieser Erde, allerdings haben sie nicht viel davon: Pakistan und Indien zum Beispiel schrecken einander ab, ohne dass das deshalb zu Frieden geführt hätte.

Wenn der Iran eine Atombombe bekommt, kann er Israel und den Irak abschrecken, die USA dürfte er damit nicht sonderlich beeindrucken. Das liegt daran, dass er keine Zweitschlagkapazität hat. Letzteres bedeutet, dass atomare Bewaffnung einen atomaren Angreifer nur dann abschreckt, wenn dieser sicher sein kann, dass sein Angriff erwidert wird. Ist das nicht der Fall, wirkt der Besitz von Atomwaffen genau umgekehrt wie Abschreckung: Er lädt den Gegner dazu ein, die atomare Gefahr präventiv auszuschalten.

Man kann das sehr schön im Nahen Osten beobachten, wo Israel immer wieder den Iran von der Entwicklung einer Atombombe abzuhalten versucht, indem es die entsprechenden Installationen bombardiert oder Wissenschaftler, die für das iranische Atomprogramm verantwortlich sind, umbringt. Mit einer einfachen Atombombe allein würde Deutschland also im Konfliktfall eine andere Atommacht geradezu zu einem Atomschlag einladen.

Wer abschrecken will, braucht deshalb die Zweitschlagkapazität – aber die ist enorm teuer und aufwendig. Frankreich kann ein Lied davon singen, es hat geheime Silos für Mittelstreckenraketen und atomwaffenfähige U-Boote. Das alles dient dazu, auch dann atomar zurückschlagen zu können, wenn die eigenen Großstädte und Befehlszentren bereits getroffen wurden.

Und es erfordert enorme Geheimhaltung und enorme Kosten, um die Force de Frappe zu unterhalten. Weshalb französische Präsidenten immer wieder vorgeschlagen haben, Deutschland möge sich doch daran beteiligen. Darum geht’s im Grunde, wenn Thomas Frei und Wolfgang Schäuble eine „europäische atomare Abschreckung“ fordern. Um die britischen Atomwaffen geht’s dabei seit dem Brexit nicht mehr und um die vielen kleineren Staaten in der EU auch nicht.

Warum Deutschland nicht Atommacht werden darf Ihr Ziel ist also durchaus sinnvoll: Wenn Deutschland – zugegeben, mit riesigem Aufwand – Atommacht mit Zweischlagkapazität würde, wäre es atomar nicht mehr erpressbar und Olaf Scholz müsste nicht mehr ständig mit Putin telefonieren, sondern er könnte auf russische Drohungen mit Atomwaffen genauso gelassen antworten wie französische Regierungsmitglieder, nachdem Putin seinen Verteidigungsminister anwies, die russischen Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen: „Wir haben auch Atomwaffen“, antworteten sie schlicht.

Das Problem ist nur: Deutschland darf gar nicht Atommacht werden. Erstens gibt es da den Atomwaffensperrvertrag, der nicht nur Atomwaffenstaaten verbietet, ihre Waffen, Kenntnisse und alles, was dazu dienen kann, Atomwaffen herzustellen und an Nichtatomwaffenstaaten weiterzugeben, sondern es auch Nichtatomwaffenstaaten verbietet, selbst solche Waffen herzustellen oder sie anderweitig zu beschaffen.

Hinzu kommt der Vertrag, für den Annalena Baerbock so heftig wirbt und den Deutschland auch ratifiziert hat. Beide Verträge könnte man mit dreimonatiger Frist kündigen und hätte dann freie Hand. Dass die Ampel das überlebt, ist allerdings eher unwahrscheinlich, auch wenn die bisherigen Atommächte darauf verzichten sollten, Deutschland dann so zu behandeln, wie sie das mit Nordkorea tun, dem einzigen Land, das bisher aus dem Atomwaffensperrvertrag ausgestiegen ist. Und klar ist auch: Für alle Möchtegern-Atomwaffenstaaten dieser Welt wäre es das Signal, aus dem bestehenden System der Nuklearwaffenkontrolle auszusteigen – eine Steilvorlage für Iran, Nordkorea und alle, die ihnen heimlich die Daumen halten.

In Deutschland regieren die Richter Und genau hier beginnt die Quadratur des atomaren Kreises. Anders als im Iran oder in Nordkorea, wo das größte Hindernis auf dem Weg zur Atomwaffe technologische Rückständigkeit ist, hindern vor allem zwei Faktoren Deutschland daran, Nuklearmacht zu werden: Seine öffentliche Meinung und das Recht, bzw. die Tatsache, dass Deutschland stärker als die meisten anderen Länder auf dieser Welt ein Rechtsstaat ist.

Man muss lange suchen, bis man auf dieser Welt noch ein Land findet, indem selbst die Außenpolitik der Macht von Richtern unterworfen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundeswehr bei Einsätzen außerhalb des Nato-Vertragsgebiets zu einer Parlamentsarmee gemacht, während die französische, polnische, britische Regierung über ihre Armee in solchen Fragen ohne Mitsprache des Parlaments frei verfügen können.

Das Bundesverfassungsgericht kann internationale Verträge kassieren, für deren Ratifizierung in manchen anderen Staaten statt eines Gesetzes nur die Unterschrift eines Präsidenten notwendig ist. In Deutschland zwingen Richter Diplomaten, sich für im Ausland festgehaltene Deutsche auf eine bestimmte Art und Weise einzusetzen, sie legen fest, ob der Abschuss von Flugzeugen gesetzlich geregelt werden muss, unter welchen Bedingungen die Europäische Zentralbank Schuldverschreibungen anderer Staaten kaufen darf und wie die EU aussehen muss, damit der Bundestag die EU-Verträge ratifizieren darf. Vieles von dem, was in anderen Staaten in die außenpolitische Hoheit der Exekutive fällt, kann in Deutschland von der Opposition und von einfachen Bürgern gerichtlich angefochten werden.
Frankreichs Atomstreitmacht stützt sich zurzeit auf zwei Pfeiler
Niemand kann auch nur den geringsten Zweifel daran haben, dass jeder einzelne Beschluss, jedes Gesetz, jede Maßnahme, die notwendig wäre, um Deutschland eine atomare Zweitschlagkapazität zu geben, sofort eine Prozesslawine vor den ordentlichen Gerichten und dem Bundesverfassungsgericht auslösen würde. Vermutlich würde das sogar für die Standorte der einzelnen Atomwaffenstandorte und die Parameter der Trägersysteme gelten, die natürlich, um ihre Zweitschlagkapazität zu erhalten, absoluter Geheimhaltung bedürfen. Die gleiche Bundesrepublik, die es in Jahrzehnten nicht geschafft hat, ein Endlager für (zivilen) atomaren Sondermüll zu finden, soll plötzlich im Stande sein, in kürzester Zeit Standorte für atomar bestückte Mittelstreckenraketen und ihre Trägerflugzeuge festzulegen und zwar so, dass sie streng geheim bleiben und ihre Lage nicht in den Medien und vor Gericht debattiert werden? Undenkbar!
Frankreichs Atomstreitmacht stützt sich zurzeit auf zwei Pfeiler: auf Flugzeuge, von denen aus nukleare Raketen abgefeuert werden können, deren Reichweite aber sehr begrenzt ist. Und auf vier Atom-U-Boote mit strategischen Langstreckenraketen, die über mehrere, individuell programmierbare Sprengköpfe verfügen. Dieser Teil ist der wirklich abschreckende, aber auch der wirklich teure. Für Deutschland hieße das nicht nur Abschied vom Atomausstieg, sondern auch Einstieg in eine zweite Zeitenwende, und zwar eine enorm kostspielige.


Warum Deutschland als Atommacht nicht mehr die Bundesrepublik wäre
Schäuble, Frei und andere vor ihnen müssen das geahnt haben und vermutlich reden und schreiben sie deshalb auch nicht über das Undenkbare, sondern das leichter Vorstellbare: dass Europa, und nicht Deutschland, oder mindestens Deutschland und Frankreich gemeinsam Atommacht werden sollen. Der Atomwaffensperrvertrag lässt sich damit aber nicht aushebeln.
Wenn die französische Regierung allein über die Atomwaffen verfügen kann, muss keiner der beiden Staaten aus dem Vertrag austreten. Dann allerdings finanziert Deutschland nur einen Teil der „Force de Frappe“, ohne dass das ganze Arrangement für Russland abschreckender wird, als es jetzt schon beim „nuclear sharing“ mit den USA der Fall ist. Oder die Bundesregierung erwirbt für ihr Geld auch das alleinige Verfügungsrecht über einen Teil der Waffen und bricht damit – zusammen mit Frankreich – den Atomwaffensperrvertrag.
Richtig haarsträubend wird es aber erst, wenn daraus dann wirklich eine „europäische Abschreckung“ werden soll, die auch andere Staaten, die von der atomaren Schwelle weiter entfernt sind, umfasst. Dass beispielsweise fünfzehn oder zwanzig Regierungen – jede nach ihren eigenen verfassungsrechtlichen Beschränkungen – im Ernstfall innerhalb von Minuten gemeinsam über einen atomaren Gegenschlag entscheiden, ist, um bei Thomas Frei zu bleiben, ziemlich undenkbar.
Eine nuklear bestückte Iskander-Rakete aus Kaliningrad braucht nur wenige Minuten bis Berlin. Der Europäische Rat braucht in der Regel mehrere Wochen, bis er sich treffen kann. Die Frage von Sein oder Nichtsein an ein demokratisch nicht legitimiertes militärisches Gremium zu delegieren, dürfte in Deutschland an Karlsruhe und in den anderen Staaten am Parlament oder den Protesten auf der Straße scheitern. Natürlich können Frankreich, Deutschland oder alle beide gemeinsam eine Doktrin verabschieden, die die Bedingungen für einen Einsatz von Atomwaffen festlegt.
Aber wären Deutschland und Frankreich wirklich bereit, Paris und Berlin einer „undenkbaren“ Gefahr auszusetzen, um von einem Angriff auf die Slowakei abzuschrecken? Ein solcher Krieg der Doktrinen wäre auch nicht glaubwürdiger als die derzeitige Lage, in der es vor allem die USA sind, die von einem Angriff auf Deutschland abschrecken. Die „Europäisierung der atomaren Abschreckung“ würde somit den Druck zur atomaren Autarkie nur nach unten an die kleineren EU-Mitgliedstaaten weitergeben – bis sich am Ende dann auch Malta eine atomare Zweitschlagskapazität zulegt, wenn es sich das leisten kann.
Daran sieht man, dass es durchaus Sinn ergibt, das Undenkbare zu denken und aufzuschreiben. Die Unionsforderungen nach Atomwaffen sind gar nicht brandgefährlich, sie würden Deutschland sogar weniger sicherer und, naja, auch abschreckender machen. Allerdings wären sie in dem Deutschland, das wir kennen, nicht umsetzbar: Deutschland müsste sich dazu in einen militaristischen Zentralstaat verwandeln, in dem außen- und verteidigungspolitische Fragen der Kontrolle der Gerichtsbarkeit entzogen und u. U. vielleicht sogar die Pressefreiheit im Bezug auf atomare Angelegenheiten eingeschränkt wird. Bevor Deutschland sich daranmacht, Atomwaffen zu erwerben, bräuchte es eine neue Verfassung, von einer anderen Regierung und einer anderen öffentlichen Meinung einmal abgesehen. Deutschland kann Atommacht werden, aber es kann dabei unmöglich die Bundesrepublik bleiben.
Klaus Bachmann ist Politikwissenschaftler, Historiker, Publizist und Professor für Sozialwissenschaften an der SWPS University in Warschau.
https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2022/Sicherheit-Brauchen-wir-Atomwaffen,atombombe112.html


Stand: 02.06.22 12:00 Uhr

Sicherheit: Brauchen wir Atomwaffen?

von Robert Bongen, Hans Jakob Rausch & Jonas Schreijäg


Es ist ein offenes Geheimnis: Mitten in Deutschland, in Rheinland-Pfalz, liegen US-amerikanische Atomwaffen. Schätzungen zufolge sind es rund 20 Atombomben, die auf dem Gelände des Fliegerhorsts Büchel stationiert sind. Jede einzelne hat eine größere Sprengkraft als die Hiroshima-Bombe. Seit Jahrzehnten leben die Menschen in der Eifelgemeinde mit den Bomben in der Nachbarschaft. Doch angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine und der ständigen nuklearen Drohungen Putins wächst bei einigen im Ort die Sorge, irgendwann Ziel eines russischen Atomangriffs zu werden.


Sicherheit: Brauchen wir Atomwaffen?
Der Krieg in der Ukraine hat die Angst vor atomaren Angriffen zurückgebracht und Überzeugungen zu Atomwaffen ins Wanken.

Koalitionsziele nach wenigen Monaten überholt?

Der Krieg in der Ukraine hat die Angst vor atomaren Angriffen zurückgebracht. Und: Er hat deutsche Überzeugungen ins Wanken gebracht. In den Achtzigern gingen gegen nukleare Aufrüstung Millionen Menschen auf die Straßen. Auch in den letzten Jahren kamen aus der Politik, vor allem von SPD und Grünen, regelmäßig Forderungen, die Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Noch drei Monate vor dem Krieg formulierten die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag als Ziel „Deutschland frei von Atomwaffen“.

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02.06.22 | 21:45 Uhr

Sicherheitsexpertin Major: „NATO-Atomwaffen sind die ultimative Lebensversicherung“

Claudia Major ist Forschungsgruppenleiterin für Sicherheitspolitik in der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie sagt, die Bedeutung der nuklearen Abschreckung habe wieder zugenommen.  | mehr

Jetzt ist nicht mehr die Rede davon – im Gegenteil. Kurz nach Kriegsausbruch betonte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen): „Auch das hat uns der Krieg vor Augen geführt: Die nukleare Abschreckung der NATO muss glaubhaft bleiben.“ Im Rahmen seiner „Zeitenwende“-Rede kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an, die in Büchel stationierte überalterte Tornado-Flotte durch moderne Flugzeuge des Typs F-35 von Lockheed Martin ersetzen und damit Deutschlands Rolle in Hinblick auf die nukleare Abschreckungspolitik der NATO stärken zu wollen – nach jahrelanger Verzögerung. Im Ernstfall tragen diese Kampfjets die US-Bomben ins Ziel.

Panorama-Umfrage: Erstmals Mehrheit für US-Atomwaffen in Deutschland

Die Zeitenwende ist offenbar auch in den Köpfen der Bevölkerung angekommen. Eine Mehrheit der Deutschen spricht sich aktuell für den Verbleib von US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland aus. Das hat eine repräsentative Umfrage von infratest dimap im Auftrag von Panorama ergeben. 40 Prozent der Befragten sagen demnach, die Atomwaffen sollten unverändert stationiert bleiben, zwölf Prozent befürworten sogar eine Modernisierung und Aufstockung, nur 39 Prozent votieren für einen Abzug.

Damit hat sich seit dem Krieg in der Ukraine auch die Haltung der Deutschen zu Atomwaffen verändert. In den vergangenen Jahren hatte es in vergleichbaren Umfragen sehr deutliche Mehrheiten für einen Abzug der US-Atomwaffen gegeben. Noch Mitte 2021 waren etwa laut einer Studie der Münchener Sicherheitskonferenz nur 14 Prozent der Befragten für US-Atomwaffen in Deutschland, eine Mehrheit von 57 Prozent wollte deren Abzug.

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Panorama-Umfrage: Mehrheit für US-Atomwaffen in Deutschland

Eine Mehrheit der Deutschen spricht sich für den Verbleib von US-amerikanischen Atomwaffen in Deutschland aus. Das hat eine infratest-dimap-Umfrage im Auftrag von Panorama ergeben.

extern

Der Traum von einer Welt ohne Atomwaffen – endgültig geplatzt?

Xanthe Hall ist Chefin der deutschen Sektion von ICAN, der internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis. Sie kämpft seit 40 Jahren gegen Atomwaffen. „Ich habe manchmal das Gefühl, ich lande wieder da, wo ich angefangen habe und muss immer wieder neu erklären, warum Atomwaffen schlecht sind oder was passiert, wenn man Atomwaffen einsetzen würde.“

Xanthe Hall setzt sich als Chefin der deutschen Sektion von ICAN für die Abschaffung von Atomwaffen ein.

Ein nukleares Aufrüsten führt aus ihrer Sicht nicht zu mehr Sicherheit, sondern zum genauen Gegenteil. „Ich weiß, dass viele Leute meinen, jetzt ist die Antwort auf Putins Drohung, noch zurück zu drohen. Aber im Prinzip eskaliert das Ganze nur. Wenn wir so weiter machen, endet es dann irgendwann doch mal in einem Atomkrieg.“

Christoph Heusgen sieht das anders. Er ist Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und überzeugt: Die Politik der atomaren Abschreckung funktioniert. „Diese Politik hat Deutschland und Europa, hat der NATO seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Frieden garantiert; auf dem Gebiet der Mitglieder der NATO. Und wir sehen gerade wieder, auch angesichts der Drohungen, die wir aus Moskau hören, wie wichtig diese atomare Abschreckung bleibt.“

Christoph Heusgen ist Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Er verteidigt die Politik der atomaren Abschreckung.

Es ist die Logik aus dem Kalten Krieg, die jetzt auf einmal wieder zu gelten scheint. Geschützt ist der, der Atomwaffen hat. Deutschland schützen in dieser Logik die Atomwaffen der NATO. Zumindest solange die NATO so geeint ist, wie im Moment.

Ex-Trump Berater: NATO-Austritt bei zweiter Amtszeit wahrscheinlich

Nur: Was ist, wenn in zwei Jahren wieder Donald Trump US-Präsident werden sollte? Kein unwahrscheinliches Szenario. Und schon beim letzten Mal wollte Trump aus der NATO aussteigen, erzählt sein ehemaliger Sicherheitsberater, John Bolton im Interview mit Panorama: „Er war sehr kurz davor. Während des NATO-Gipfels 2018 in Brüssel sagte er zu mir, dass er an diesem Tag aussteigen wolle.“ Am Ende konnten Bolton und andere Trump vom NATO-Austritt gerade noch abhalten, doch bei einer möglichen zweiten Amtszeit könnte das anders sein, fürchtet Bolton: „Ein Rückzug aus der NATO würde viel wahrscheinlicher.“

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02.06.22 | 21:45 Uhr

Sicherheitsexpertin Berghofer: „Ziel einer atomwaffenfreien Welt nicht vollkommen hinfällig“

Julia Berghofer ist Sicherheitsexpertin beim European Leadership Network. Ihrer Meinung nach wird aktuell nüchtern und nicht mehr ideologisch über das Thema Atomwaffen diskutiert.  | mehr

Ein US-Präsident, der die NATO in Frage stellt? Gar austritt? In Deutschland werden Stimmen laut, sich über eigene Atomwaffen innerhalb der EU Gedanken zu machen, angesichts der nuklearen Drohungen Putins, aber auch falls ein künftiger US-Präsident erneut die NATO-Mitgliedschaft und die Sicherheitsgarantien in Frage stellen würde. Der Präsident der Europäischen Volkspartei (EVP), der CSU-Politiker Manfred Weber, sagte im Panorama-Interview: „Die heutige Europäische Union ist, das muss man mal ganz brutal sagen, nackt in einer Welt von Stürmen. Wir können uns als Europäer heute sowohl konventionell als auch nuklear nicht selbst verteidigen ohne die Partner von außen. Und das heißt, wir müssen jetzt auch über die nukleare Option reden.“

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05.05.22 | 21:45 Uhr

Putins brutaler Angriffskrieg: Warum jubeln viele Russen?

Überall in Russland wird die Werbetrommel für den Krieg in der Ukraine gerührt, der nicht so genannt werden darf. Doch was denken Russinnen und Russen über den Krieg?  | mehr

Auch der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, fordert, die nukleare Abschreckung innerhalb der EU weiter auszubauen: „In Hinblick auf den nuklearen Schutzschirm müssen wir mit Frankreich ins Gespräch kommen und über eine Ausweitung des französischen Atomprogramms diskutieren“, so Heusgen gegenüber Panorama. Frankreich ist das einzige Land in der EU, das über Nuklearwaffen verfügt.

Macron hatte Deutschland Dialog über EU-Atomwaffen angeboten

Der französische Präsident Macron hatte seit 2020 mehrfach den EU-Staaten angeboten, über eine „nukleare Option“ für die EU ins Gespräch zu kommen. „Ich weiß, das ist für Deutschland keine einfache Diskussion, aber wir müssen nüchtern darüber sprechen“, sagte Macron 2020 auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Anfang 2022 erneuerte Frankreich das Dialog-Angebot. Die Bundesregierung hat darauf aber offenbar nie konkret reagiert.

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02.02.17 | 21:45 Uhr

Donald Trump und US-Atombomben in Deutschland

Auf deutschem Boden sind US-Atomwaffen stationiert. Was bedeutet dies in Zeiten, in denen ein US-Präsident die NATO auch schon mal als „obsolet“ bezeichnet?  | mehr

„Der Ball liegt bei der Bundesregierung“, sagt Christophe Arend. Er ist Abgeordneter in der französischen Nationalversammlung für die Partei von Präsident Macron und Vorsitzender der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Er fordert langfristig gemeinsame Atomwaffen für die EU: „Europa muss heute erwachsen werden und es allein schaffen. Und darum muss Europa diese nukleare Abschreckungskraft haben.“ Dafür sei es unbedingt notwendig, dass Frankreich und Deutschland einen gemeinsamen Weg finden. Der EVP-Vorsitzende im EU-Parlament, Manfred Weber, unterstützt diese Forderung: „In Brüssel ist klar, dass Frankreich das Angebot auf den Tisch gelegt hat und Deutschland sich der Debatte bisher verweigert. Und solange Deutschland sich nicht bewegt, wird es auch keine weitere europäische Diskussion geben.“

Braucht die EU Atomwaffen? Noch zögert Deutschland. Aber was bis vor kurzem ein Tabu war, wird jetzt ernsthaft diskutiert. „Ich glaube, dass wir in freundschaftlicher Zusammenarbeit mit Frankreich gemeinsam über eine Ausweitung des französischen Nuklearprogramms diskutieren sollten“, fordert der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen. Die Chefin von ICAN-Deutschland, Xanthe Hall, weist dagegen darauf hin, dass Atomwaffen zwar kurzfristig nach mehr Sicherheit klingen, aber langfristig die Gefahr eines Atomkrieges steigerten. „Diese Idee, der ultimative Lebensversicherung durch Atomwaffen finde ich extrem gefährlich, weil das bedeuten würde: Wir sind bereit, dann das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel zu setzen“, so Hall.
Eines scheint klar: Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt ist so weit weg wie lange nicht mehr.
https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/internationale-politik/id_100311444/schutz-der-eu-experte-fordert-eigene-atomwaffen-.html



Politologe empfiehlt Europa gemeinsame Atomwaffen
Von t-online, das
Aktualisiert am 01.01.2024Lesedauer: 3 Min.


Debatte um Atomwaffen nimmt Fahrt auf (Symbolbild): Atomwaffen für Europa gefordert. (Quelle: Lucas Maier)
Wie soll sich die EU vor möglichen Angriffen künftig schützen? Der Politologe Herfried Münkler rät zu einem drastischen Schritt.
Der deutsche Politologe Herfried Münkler hat sich dafür ausgesprochen, dass die EU-Staaten ein gemeinsames Arsenal von Nuklearwaffen anlegen. „Die europäische Atombombe wäre ein entscheidender Schritt hin zu einer strategischen Autonomie und zu einer eigenen Abschreckungskraft. Diese Abschreckungskraft sollte schleunigst aufgebaut werden“, sagte Münkler der Zeitung „Welt“.
Konkret schlägt Münkler vor, dass mehrere Staaten gemeinsam über das Arsenal verfügen: „Die Staaten des Weimarer Dreiecks, also Frankreich, Deutschland, Polen plus zweier Südeuropäer, also Madrid und Rom, verfügen über Atomwaffen in gemeinsamer Entscheidungsgewalt, also: Der Koffer mit dem roten Knopf zirkuliert zwischen den genannten Staaten.“
Risikofaktor USA
Grund für ein solches Arsenal sei, dass sich die USA möglicherweise in Zukunft als Schutzmacht von Europa abwenden könnten. Zum Schutz blieben dem Kontinent zwar mit Frankreich und Großbritannien noch zwei weitere Atommächte. „Aber Polen und die baltischen Staaten mit ihren historischen Erfahrungen werden vermutlich daran zweifeln, ob sie sich bei einer möglichen nuklearen Erpressung seitens Russlands auf britische und französische Versprechen verlassen können.“
Das Streben nach weltweiter nuklearer Abrüstung hält Münkler dagegen für unrealistisch. Das liege vor allem an Russland, da das Land ohne seine Rohstoffe und Atomwaffen keine weltpolitische Bedeutung mehr hätte. Stattdessen ist es laut Münkler wahrscheinlich, dass künftig weitere Länder über Kernwaffen verfügen könnten: Beispiele seien etwa der Iran, Saudi-Arabien oder die Türkei.

Allerdings haben andere Wissenschaftler zuletzt weitere Konzepte ins Spiel gebracht: Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beschrieb kürzlich in einem Gastbeitrag im „Spiegel“ mehrere Szenarien: Möglich wäre es etwa, die französischen Atomwaffen innerhalb Europas aufzuteilen, sodass es zu einer Art nuklearen Teilhabe käme, wie sie aktuell zwischen den USA und Europa bestehe. So lagern etwa in Deutschland US-Atomwaffen, die auch durch deutsche Trägersysteme abgeschossen werden können. Allerdings hat der französische Präsident Emmanuel Macron einem solchen Konzept bereits eine Absage erteilt.

„Kein akzeptables Modell“

Die Idee der wechselnden Kontrolle mehrerer EU-Staaten über die gemeinsamen Kernwaffen, wie es auch Münkler beschrieben hat, hält Kaim dagegen für unrealistisch. Ein Problem sei etwa, dass es im Ernstfall unklar bleibe, welches Land konkret über den Einsatz der Waffen entscheiden dürfe – vor allem aus deutscher Sicht: „Es erscheint kein akzeptables Modell für die deutsche Sicherheitspolitik, dass Berlin europäische Nuklearwaffen mitbezahlt, aber keinerlei Einfluss auf ihren Einsatz hätte.“

Noch unwahrscheinlicher ist es laut Kaim, dass die Europäische Union als Institution über die Atomwaffen verfügen könne. Das wäre aufgrund von gewaltigen „politischen wie rechtlichen Hürden“ kurzfristig nicht möglich. Angesichts dessen blieben Deutschland drei Optionen: Annäherung an Kräfte wie Russland oder China, einen möglichen ausbleibenden Schutz der USA einfach hinzunehmen oder Deutschland atomar aufzurüsten.

Als dritte Option nennt Kaim einen „scharfen Bruch mit den Traditionen bundesdeutscher Außenpolitik“. Allerdings könne die Bundesregierung dadurch möglicherweise Sicherheitsgarantien an mittel- und osteuropäische Staaten aussprechen.

Deutsche Atombombe „anti-europäisch“

Für die Politikwissenschaftler Claudia Major und Liviu Horovitz (beide ebenfalls von der SWP) ist eine deutsche Atombombe dagegen keine Option. Eine Bedrohung Russlands betreffe in erster Linie nicht Deutschland, sondern russische Nachbarländer wie die baltischen Staaten oder Finnland, schreiben die Wissenschaftler in einem Gastbeitrag des „Spiegel“. Major und Horovitz nennen ein deutsches Atomwaffenarsenal daher „anti-europäisch“. Zudem würde eine solche Aufrüstung auch riskieren, dass dann weitere Staaten es Deutschland gleichtun würden.

Trotzdem sehen die beiden Experten auch Wege, eine europäische Atombombe auf den Weg zu bringen. Wahrscheinlicher als ein Arsenal auf EU-Basis sei es, die Programme von Frankreich und Großbritannien auszuweiten: „Wenn Europa es nicht einmal hinbekommt, gemeinsam Steuern zu erheben, bleibt eine gemeinsame nukleare Abschreckung illusorisch.“

Debatte um Atomwaffen nimmt Fahrt auf (Symbolbild): Atomwaffen für Europa gefordert. (Quelle: Lucas Maier)

Wie soll sich die EU vor möglichen Angriffen künftig schützen? Der Politologe Herfried Münkler rät zu einem drastischen Schritt.

Der deutsche Politologe Herfried Münkler hat sich dafür ausgesprochen, dass die EU-Staaten ein gemeinsames Arsenal von Nuklearwaffen anlegen. „Die europäische Atombombe wäre ein entscheidender Schritt hin zu einer strategischen Autonomie und zu einer eigenen Abschreckungskraft. Diese Abschreckungskraft sollte schleunigst aufgebaut werden“, sagte Münkler der Zeitung „Welt“.

Konkret schlägt Münkler vor, dass mehrere Staaten gemeinsam über das Arsenal verfügen: „Die Staaten des Weimarer Dreiecks, also Frankreich, Deutschland, Polen plus zweier Südeuropäer, also Madrid und Rom, verfügen über Atomwaffen in gemeinsamer Entscheidungsgewalt, also: Der Koffer mit dem roten Knopf zirkuliert zwischen den genannten Staaten.“

Risikofaktor USA

Grund für ein solches Arsenal sei, dass sich die USA möglicherweise in Zukunft als Schutzmacht von Europa abwenden könnten. Zum Schutz blieben dem Kontinent zwar mit Frankreich und Großbritannien noch zwei weitere Atommächte. „Aber Polen und die baltischen Staaten mit ihren historischen Erfahrungen werden vermutlich daran zweifeln, ob sie sich bei einer möglichen nuklearen Erpressung seitens Russlands auf britische und französische Versprechen verlassen können.“

Das Streben nach weltweiter nuklearer Abrüstung hält Münkler dagegen für unrealistisch. Das liege vor allem an Russland, da das Land ohne seine Rohstoffe und Atomwaffen keine weltpolitische Bedeutung mehr hätte. Stattdessen ist es laut Münkler wahrscheinlich, dass künftig weitere Länder über Kernwaffen verfügen könnten: Beispiele seien etwa der Iran, Saudi-Arabien oder die Türkei.

Allerdings haben andere Wissenschaftler zuletzt weitere Konzepte ins Spiel gebracht: Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beschrieb kürzlich in einem Gastbeitrag im „Spiegel“ mehrere Szenarien: Möglich wäre es etwa, die französischen Atomwaffen innerhalb Europas aufzuteilen, sodass es zu einer Art nuklearen Teilhabe käme, wie sie aktuell zwischen den USA und Europa bestehe. So lagern etwa in Deutschland US-Atomwaffen, die auch durch deutsche Trägersysteme abgeschossen werden können. Allerdings hat der französische Präsident Emmanuel Macron einem solchen Konzept bereits eine Absage erteilt.

„Kein akzeptables Modell“

Die Idee der wechselnden Kontrolle mehrerer EU-Staaten über die gemeinsamen Kernwaffen, wie es auch Münkler beschrieben hat, hält Kaim dagegen für unrealistisch. Ein Problem sei etwa, dass